Debs lässt die Nachtigall ruhen und schaltet mal das Licht an. Oder nach dem #Aufschrei folgt das #Aufräumen

Bei bestimmten Themen brauche ich viel Input, um greifen zu können, was in mir vorgeht. Oft fehlt mir das Vokabular oder die Worte um zu beschrieben, was mich beschäftigt oder mich aufreibt und Alles scheint irgendwie diffus. Alles ist eher ein Gefühl und ein Eindruck und somit schwer in einen Satz zu packen. Diese Gefühle, diese Hilflosigkeit Dinge zu benennen, dominieren meinen Text zur aktuellen Sexismus-Auseinandersetzung „Nachtigall ick hör Dir zwitschern“. Es ist offensichtlich wie viel Schmerz, Unsicherheit, aber auch wie viel Vorwurf dieser Text birgt.
Ein Vorwurf der etwas bezugslos durch den Text irrt, genauso wie eine Dringlichkeit und eine Besorgnis, die schwer zu fassen sind. Nun, mit etwas mehr Ruhe und etwas mehr Texten zum aktuellen Thema im Rücken, fällt es mir leichter zu formulieren, was mich so verunsichert. Es geht es mir zum Einen darum dem Empfinden Ausdruck zu verleihen, dass die Auseinandersetzung mit Sexismus, wie sie gerade stattfindet an vielen Stellen unerträglich oberflächlich zu sein scheint und die Strukturen und die gelernten Orientierungspunkte dahinter nicht mitgedacht werden.
Zum anderen scheint es immer nur zwei Möglichkeit zu geben: Es ist mir klar, dass diese ganze sexistische Kackscheiße zum Kotzen ist oder es ist mir nicht klar . Der ganze schmerzhafte Prozess dazwischen wird nicht benannt und ich fürchte damit geht viel Raum, Identifikationsmöglichkeit und eine Chance auf Nachhaltigkeit in dieser öffentlichen Auseinandersetzung verloren.

Ich kann nur von mir reden, aber für mich hat die Erkenntnis, dass sexualisierte Gewalt und übergriffiges Verhalten schlimm sind, nicht automatisch zu dem Wissen geführt, dass es nicht okay ist. Und das Wissen, dass es nicht okay ist, hatte nicht unweigerlich zur Folge, dass ich es (auch innerlich) ablehnen konnte. Und die Ablehnung bedeutete nicht gleichzeitg, dass ich mich auch einfach davon lösen konnte. Und das Loslösen fühlte sich nicht von Anfang an auch tatsächlich nach einem Befreiungsschlag an. Und der Befreiungsschlag führte absolut nicht zur Begeisterung aller meiner Mitmenschen.
Das Verständnis, dass diese Art der Gewalt kein Kompliment ist, ging nicht unweigerlich mit der Erkenntnis einher, dass auch so genannte „weibliche Privilegien“ sexistisch und damit unterdrückend und gewaltvoll sind. Ich bin nicht aufgewacht und habe begriffen „stimmt das ist alles scheiße“ sondern ich musste Schritt für Schritt lernen, verstehen und annehmen, dass erstens die Welt von Sexismus durchdrungen ist und zweitens, dass ich diesen Mist dermaßen internalisiert habe, dass ich ihn als Maßstab und Identifikationshilfe nutze. Aber in der Welt in der ich mich bewegt habe, schien es nur zwei Lager zu geben: Die einen, die es lächerlich fanden, wenn ich nicht nur unter den „krassen Übergriffen“, sondern auch unter dem Klaps auf den Hintern und sogar über das Abnehmen der Einkaufstüten litt, und die Menschen, die bereits mitten im Kampf gegen Sexismus waren und Strukturen dermaßen scharf sehen konnte, dass es mich beängstigte.
Was aber leider untergegangen ist, war den Prozess dorthin zu beleuchten. Niemand hat den Raum geöffnet und gesagt, „ja auch ich ich hab meinen (Selbst-)Wert einmal an (hetero-)sexistischen Gewalterfahrungen und Performances gemessen und auch ich war verunsichert, ängstlich, orientierungslos und bin immer wieder an die Grenzen meines verinnerlichten Irrglaubens gestoßen. Aber wichtig ist, dass Dich das nicht zu einem schlechten Menschen macht. Denn nicht Du bist schuld, sondern die Strukturen, die dafür verantwortlich sind.“.

Diesen Raum würde ich gerne öffnen. Denn hätte ich sehen können, dass viele andere den gleichen schmerzhaften Weg gehen mussten, hätte ich mich nicht so dafür geschämt, dass mir die Trennung von diesen beschissenen Maßstäben so schwer fällt. Dann hätte ich nicht so viel Angst gehabt mich über die Aussage „klar ist Sexismus scheiße“ hinaus zu erkennen zu geben und zu fragen „aber wer bin ich denn, wenn ich mich davon loslöse? Wie soll ich denn erkennen, dass ich schön, begehrenswert, wertvoll bin, wenn nicht an irgendwelchen Typen, die sich meiner bemächtigen.?“.
Das schlimmste war die Konfrontation mit mir selbst. Dass die Welt da draußen ziemlich beschissen sein kann, war mir schnell klar. Aber dass der ganze Scheiß in mir gewachsen ist und zur Bildung einer vollkommen verschrobenen Selbstwahrnehmung und einer ungesunden Idee von Bestätigung geführt hat, das war erschreckend. Die ganze Dekonstruktion dieses Blödsinns hatte ständig zur Folge, dass auch ich mich in Frage stellen musste. Und dass ich diesen ganzen Müll auch noch am laufenden Band unbewusst reproduziere, löste in mir das Gefühl aus ein schlechter Mensch zu sein. Und wäre mir klar gewesen, dass dieser Prozess für die meisten genauso so schwierig und verstörend gewesen ist, hätte ich mich vielleicht weniger unter Druck gesetzt gefühlt und mir mehr Zeit für diesen Weg gelassen.

Zurück zur #aufschrei-Aktion: Ich finde es gut, dass Sexismus in den Blick der Öffentlichkeit rückt. Und ich finde es wichtig, dass Räume geschaffen werden diese Erfahrungen sichtbar zu machen. Aber mir ist auch klar, dass die Präsenz verebben wird. Nichtsdestotrotz findet jetzt in diesem Augenblick eine Auseinandersetzung statt, aus der heraus ich mir eine gewisse Nachhaltigkeit wünschen würde. Aber ich glaube, dazu muss die Möglichkeit der Identifikation gegeben sein und die wird einfacher, wenn klar wird, dass keine_r morgens aufgewacht ist und erleuchtet war von dem Wissen um Sexismus und dessen Strukturen. Dass die meisten von uns damit zu kämpfen hatten/haben, in sexistischen Strukturen zu denken und nach sexistischen Maßstäben zu bewerten/bewertet zu haben. Dass wir vermutlich alle über uns selbst gestolpert sind und uns beim Aufräumen ständig an dem ganzen verinnerlichten Müll in uns geschrammt haben (und zumindest ich es auch immer noch tue). Es tut weh sich damit auseinander zu setzten und sich vor sich selbst zu erschrecken, aber es ist okay. Es ist nicht Dir vorzuwerfen, dass Du diese ganze Kackscheiße in Dir drin hast und es ist in Ordnung, dass Du Dich vielleicht manchmal schwer davon lösen kannst, denn das ist nicht Dein Fehler. Es ist der unserer kranken, sexistischen, gewaltvollen und lähmenden Gesellschaft!

„Nachtigall ick hör Dir zwitschern“, war der Versuch all diese Unsicherheiten und die daraus resultierenden Wünsche in Worte zu fassen und gleichzeitig ist es ein wunderschönes Beispiel für die (manchmal diffuse) Emotionalität und die Überforderung, die Aktionen wie #aufschrei auslösen können. Denn wenn Bewegungen strukturelle Missstände mit solch einer Wucht in den Raum schmeißen, muss das nicht für jede_n der Inbegriff von Empowerment sein, es kann der einen oder anderen auch schlichtweg (aus den unterschiedlichsten Gründen) für den Moment den Boden unter den Füßen wegreißen.

4 Gedanken zu „Debs lässt die Nachtigall ruhen und schaltet mal das Licht an. Oder nach dem #Aufschrei folgt das #Aufräumen

  1. Irgendwie bin ich über die Mädchenmannschaft bei dir gelandet. Seit ein paar Wochen lese ich intensiv feministische Blogs und Artikel, etwas was mich schon immer interessiert hat, aer ich habe mich doch nie wirklich damit beschäftigt.
    Ich kann dich gut verstehen, nur bist du irgenwie schon ein paar Schritte weiter als ich. Ich bin ganz verwirrt. Ich weiss plötzlich nicht mehr, freue ich mich, wenn mir jemand nach pfeift oder nicht? (Na ja, soooo oft kommt es nicht mehr vor, ich komme langsam in das Alter, von dem es heisst das man als Frau unsichtbar wird.) Diese Mischung aus mich verletzt zu fühlen und mich gleichzeitig pder die Anerkennung zu freuen. Und bin ich armselig, wenn ich mich gut fühle wenn mir einer nachpfeift? Oder albern, weil ich dabei doch ein komisches unangenehmes Gefühl habe. Was ist nun richtig? Und was bin ich? Wenn ich mich von all dem löse, diesen Strukturen von denen du spichst, was bleibt dann übrig? Falle ich dann in den leeren Raum? Oder wohin sonst? Wenn ich als (zumindest nach allgemeiner Einschätzung) schöne Frau auf dieses Potential verzichte, von dem ich manchmal das Gefühl habe, es ist mein einziges oder mächtigstes, was wird dann aus mir? Oder soll ich endlich anfangen damit zu spielen? Oder spiele ich dann das ganze Spiel mit?

    1. Liebe Nicola, armselig bist Du auf gar keinen Fall und albern auch nicht. Dass Du ein unangenehmes Gefühl dabei empfindes, wenn Dir jemand hinterher pfeifft, zeigt, dass daran etwas definitiv NICH IN ORDNUNG ist. Und dass es Dir aber zu einem gewissen Grad Bestätigung gibt, beschreibt genau das, was ich mit internalisiertem Sexismus meine. Die meisten weiblich sozialisierten Menschen, die ich kenne, haben direkt oder indirekt gelernt Typen und deren Verhalten als Orientierungspunkt für den eigenen Selbstwert zu verstehen. Und das ist das Problem. Wir merken oft gar nicht, wie sehr wir diese ganze sexistsche Denkart verinnerlicht haben und wie weit sie unsere Selbstwahrnehmung bestimmt.
      Und objektiviert zu werden ist KEINE Waffe. Oft wird als Legitimation für Sexismus angeführt, dass wir ja genau wüssten wie wir unsere „weiblichen Reize“ einsetzten müssen, um zu bekommen, was wir wollen (wer auch immer „wir“ ist). Aber, das ist sexistischer Blödsinn. Es ist keine Waffe reduziert zu werden. Im Gegenteil: wenn Du dieses „SPIEL“ mitspielst, gießt Du Wasser auf die sexistischen Mühlen und unterstützt damit die aufrechterhaltung struktureller Misstände. Wenn ich schreibe, „Du hast keine Schuld“, meine ich damit nicht, Du hast keine Verantwortung. Die haben wir alle. Es ist unsere Aufgabe und unsere Verantwortung das eigene Verhalten zu reflektieren und Einluss auf die Geselschaft zu nehmen und so Sexismus bewusst zu bekämpfen.
      soviel in der kürze. Etwas länger, aber angenehm zu lesen: http://feminismus101.de/verinnerlichter-sexismus/

      1. Liebe Debs, Vielen vielen Dank für deine schöne einfühlsame lange Antwort. Ich werde den Link mal lesen, ich hatte noch keine Zeit. Gut zu wissen, dass man mit all diesen Fragen nicht allein ist. 🙂

  2. Ja, danke auch von mir, wenn auch im Nachhinein. Auch mir geht es immer wieder so, ich muss mich ständig mit diesen Strukturen in mir selbst auseinandersetzen und bin oft wütend auf mich, wenn ich an Zeiten zurückdenke, die noch nicht lange genug her sind, um nicht mehr wehzutun, in denen ich eben auf einen verletzenden, reduzierenden Spruch statt mit „Fuck You!“ mit einem unsicheren Lächeln oder gar einem „Danke.“ reagiert habe. Wenn ich an die „Beziehungen“ denke, die ich geführt habe. Mit wem ich sie geführt habe, wie ich sie geführt habe (oder mit mir führen habe lassen). Dass ich überhaupt welche geführt habe. Du hast recht, die #aufschrei-„Bewegung“ klammert diesen Prozess weitgehend aus. Irgendwie fiel mir das nicht so auf, irgendwie dachte ich, das sei mein Problem.Eigentlich ist es natürlich genau das Problem, um das es gehen sollte.

Schreibe einen Kommentar zu Nicola Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert