Glücklichsein (ist anstrengend)

Ich bin ein glücklicher Mensch. Das bedeutet nicht, ich laufe Tag ein Tag aus lächelnd und beschwingt durchs leben. Es bedeutet, dass ich auch an schlechten Tagen und nach doofen Erlebnissen zurück zu mir finde. Dass wenig mich aus meinem Gleichgewicht bringt. Das unvorhersehbares nicht meine Existenz in Frage stellt. Dass ich mich nicht einsam, ungeliebt, fremd, verloren, unvollständig, abgespalten, dauerhaft schwer fühle.
Aber Glücklichsein ist anstrengend. Es bedeutet morgens aufzustehen und sich all den Narben und Blessuren auf meiner Seele und meinem Körper bewusst zu sein. Es bedeutet  sich jeden Tag zu entscheiden denen dafür verantwortlichen Menschen zu verzeihen oder eben nicht. Es bedeutet geduldig mir gegenüber zu sein. Mich nicht selbst zu verurteilen, wenn Muster greifen, Verletzungen Raum einnehmen. Es bedeutet mir zu verzeihen, wenn ich Fehler mache. Es bedeutet noch viel eher mir nicht verzeihen zu müssen, weil ich weiß bestimmte Dinge brauchen Raum, Dinge passieren nicht aus einem luftleeren Raum heraus, haben ihre Berechtigung und ihren Grund. Es bedeutet mich gewähren zu lassen und mich selbst liebevoll zu trösten, wenn ich merke bestimmte Dinge gehen (noch) nicht. Glücklichsein ist anstrengend, weil es bedeutet sich zu pflegen, Grenzen zu verteidigen, sich unter Umständen unbeliebt zu machen, weil an erste Stelle ich stehe, ich mein Zentrum bin und mein Leben nach meinen Bedürfnissen um mich herum plane. Manchmal fühle ich mich hilflos, weil ich weiß, dass es nicht immer so war. Den Großteil meines Lebens, hat dieses mich angestrengt, habe ich mich nicht lebensfähig gefühlt. Fühlte sich die Welt nicht so an, als könnte ich rein passen. Als wäre es mir unmöglich mich in ihr zu bewegen, ohne mich zu stoßen, mir die Haut aufzureißen, alles umzustoßen und ihre Ecken und Kanten in meinem Körper zu spüren. Und auch, wenn ich immer noch nicht das Gefühl habe, dass diese Welt die meine ist, kann ich inzwischen in ihr tanzen. Kann mich vor den Kanten, den rauen Fassaden, den Spitzen und Wänden schützen. Kann mich in ihr bewegen, ohne unweigerlich blaue Flecken zu bekommen. Hilflos macht mich das, weil ich nicht weiß, wie ich da hingekommen bin. Oft würde ich Freunden gerne verraten wie es inzwischen möglich ist, dass ich atmen kann, dass ich keine Angst habe, dass ich nicht mehr gelähmt und verzweifelt bin. Dass ich mich gut (an)fühle und mit mir das Leben. Aber ich weiß es nicht. Es kann es nicht erklären. Kann nur sagen, dass ich mich gepflegt und mir die Erwartungen erlassen habe. Glücklichsein ist anstrengend, weil ich manchmal traurig bin es nicht einfach mit anderen teilen zu können.
Glücklichsein ist aber auch anstrengend, weil es bedeutet ständig Entscheidungen zu treffen. Es bedeutet Kopf und Herz irgendwie in eine angemessene Kommunikation miteinander zu bringen. Es bedeutet aufpassen zu müssen, sich nicht aus der Vorsicht heraus selbst zu beschneiden. Es bedeutet Raum zum Leiden zu lassen. Und es bedeutet gleichzeitig Leid nicht zwingend zu brauchen.
Glücklichsein ist anstrengend weil es heißt mit Widersprüchen leben zu müssen. Es bedeutet sich damit abzufinden Dinge nicht richtig machen zu können, aber eben auch nicht falsch. Es heißt einfach Dinge machen können. 
Glücklichsein bedeutet mit Energie haushalten zu müssen und somit Gefahr zu laufen Erwartungen nicht erfüllen zu können. Glücklichsein heißt den eigenen Erwartungen an sich selbst weniger Präsenz zu gewähren und sich lang gepflegten Kategorien und Idealbildern von sich, weitestgehend entledigen zu müssen.
Es bedeutet sich einzugestehen, dass mensch nicht immer ununterbrochen glücklich ist. Dass das medial geprägte Bild von Glücklichsein Unsinn ist. Es für die 30 Sekunden eines Werbespots existiert, aber eigentlich eine Erfindung ist, um Sehnsucht zu schaffen.
Glücklichsein hat nichts mit Dauereuphorie, ständigen Glücksmomenten mit Kaviar und Konfetti zu tun. Es ist nicht der ständige Lottogewinn. Es ist neben diesem warmen Gefühl, der Sicherheit, Geborgenheit, Ruhe, Kraft, Wärme, der Monoagapanie, vor Allem anstrengend und egoistisch.
Es ist so gar nicht wie im Fernsehen und genau deswegen ist es so anstrengend. Weil behauptet wird, Glücklichsein sei sauber, funkelnd und leichtfüßig. Aber das ist es nicht. Glücklichsein bedeutet den ganzen Gesellschaftsmüll umzugraben, ohne dabei wahnsinnig zu werden. Es ist dreckig, und schwierig, weil die Gesellschaft mit ihren irrwitzigen Bildern von Glück und Zufriedenheit es einer so unfassbar schwer macht glücklich zu sein. Es bedeutet trotz dem ganzen Mist dort draußen Atmen zu können und zur Ruhe zu kommen. Und wenn mir klar wäre, wie ich das hinbekomme; warum ich das kann und wie ich das gemacht habe, dann würde ich das Rezept in Flaschen abfüllen und verschenken. Aber so kann ich nichts anderes tun, als der Gesellschaft mal wieder vor die Füße zu spucken und zu sagen, you made me sick, but today it‘s time for ice cream!

5 Gedanken zu „Glücklichsein (ist anstrengend)

  1. Wow! Danke, Debs 🙂
    Das ist genau das, wohin ich mich auf dem Weg befinde. Wie auch deine gelebt Monoagapanie. Und du schreibst es so schön, genau so dass ich es verstehe und dass es in mir wiederhallen kann. Und beim Lesen fühlt es sich schön und richtig an und unterstützt mich auf meinem Weg. Danke!
    Und auch hiermit hast du so verdammt recht und es zudem so verdammt gut auf den Punkt gebracht! „weil die Gesellschaft mit ihren irrwitzigen Bildern von Glück und Zufriedenheit es einer so unfassbar schwer macht glücklich zu sein.“
    Im Moment fühle ich mich moment-, tage-, oder auch mal wochenweise so wie du es beschreibst. Und das ist anstrengend manchmal (weil ich nicht einfach irgendwen für mich bestimmen lassen kann, weil ich wirklich hingucken „muss“, weil ich so vieles anders mache oder entscheide als andere um mich herum, weil es bedeutet ehrlich zu mir zu sein), aber es ist wunderbar. Und es stimmt mich stolz.
    Dein Text zeigt mir mal wieder wie gut und richtig mein Weg ist. Und es erfreut mich so sehr zu sehen, dass ich nicht allein bin, dass es dich gibt! Danke dafür! 🙂

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