An_Gezeigt!

Triggerwarnung: im folgenden Text wird das Wort V*rg*w*lt*g*ng ausgeschrieben

Nach meinem Text „Verstummt“ wollte ich eigentlich warten, ob es zu einer Verhandlung kommt, bevor ich in einem Text von dem Verlauf meiner gemachten Anzeige erzähle. Ich wollte warten, bis ich ein Ergebnis habe, damit ich weiß, wie der Text ausgeht. Aber eigentlich ist zumindest Teil eins der Geschichte abgeschlossen und sie hat ihr Ende.
Sie geht so:
Es war einmal eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, der wurde Gewalt angetan, sie wurde vergewaltigt. Von einer Person, die zu einer Gruppe Menschen gehörte, die sie schon fast als Familie empfand. Eine Gruppe, in der sie sich eigentlich angekommen und angenommen fühlte. Als sie jedoch in ihrem Umfeld davon berichtete, gab es kaum Support. Statt dessen wurde das Geschehen weiter getragen und sie als Lügnerin bezeichnet. So verlor sie quasi über Nacht ihr soziales Umfeld und viele der Orte die sie liebte. Das ist das Problem in einer Gesellschaft, in der Rape-Culture gelebt wird: Die Opfer sexualisierter Gewalt verlieren nicht nur für einen Moment ihre sexuelle Selbstbestimmung, sie werden bestraft, ausgestoßen und gedemütigt, von einer Welt die glaubt es besser zu wissen. Die Begleiterscheinungen einer Vergewaltigung sind somit mehr als die psychischen und physischen Folgen des Gewaltaktes an sich, es sind genauso erzwungene Isolation, Stigmatisierung und weitere Gewalt durch Menschen, die den gefressen Dreck unserer Gesellschaft unreflektiert einfach wieder auskotzen. Auf die Opfer, auf die Betroffenen, auf die Vergewaltigten.
Vier Jahre lang hat das Mädchen daraufhin folgendes getan: nichts.
Stattdessen trug sie das Geschehene mit sich herum, fühlte sich dafür verantwortlich und glaubte sich beizeiten selbst nicht mehr.
Doch dann, nach und nach, fand sie sich in einem Umfeld wieder, in dem mit gesellschaftlich verinnerlichtem Gedankengut kritisch umgegangen wurde. In dem Macht und Gewaltstrukturen benannt und Lebensrealitäten und -erfahrungen nicht abgesprochen wurden. Das erste Mal hatte sie das Gefühl bei einer Möglichen Anzeige nicht zwei Kämpfe führen zu müssen: den rechtlichen, staatlichen, „offiziellen“ und den privaten, rechtfertigenden, „inoffiziellen“. Im Gegenteil, sie hatte das Gefühl, von Menschen umgeben zu sein, die sie unterstützen würden, statt infrage zu stellen und laut würden statt Schweigen zu erwarten.

Als ihr das klar wurde, nahm sie ihren Mut zusammen und fasste den Entschluss den Schritt zur Anzeige zu wagen. Es folgte der Besuch einer eine Beratungsstelle. Sie verließ diese zum einen gestärkt, zum anderen noch wütender und desillusionierter, denn das deutsche Rechtssystem war noch bei Weitem rückständiger als sie es erwartet hatte.
Sie hatte die Adresse des Dezernates für Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und das Angebot einer Begleitung von Seiten der Beratungsstelle bekommen.
Aber die junge Frau hatte das Bedürfnis das allein zu schaffen. Ohne Hilfe ihre Unabhängigkeit gegenüber des Geschehenen zu beweisen. Einige Wochen verstrichen, dann fuhr sie zum Dezernat um die Anzeige zu machen. Doch statt Unterstützung, wurden ihr nur halbseidene Formalien entgegengebracht und sie wurde nach Hause geschickt (Hier der Erfahrungsbericht).
Wie gelähmt hing sie, wieder zuhause, in ihren Gedanken fest. Nicht sicher die Kraft zu haben den Weg noch einmal zu gehen. Nicht sicher, wohin mit ihrer Wut und ihrer Ohnmacht. Aber dann, nach einiger Zeit, meldete sich eine kleine Stimme in ihr und stellte folgenden Gedanken in de Raum:
Du schreibst ein Blog, das vor Allem auch immer wieder empowernde Momente für Dich wie für andere bewirken soll. Du kannst jetzt aufgeben oder die Anzeige als aktivistisches Moment verstehen. Für Dich, für andere.

Das half. Die junge Frau entschloss einen zweiten Versuch zu wagen. Sie suchte sich erneut die Telefonnummer des zuständigen Bereiches heraus und rief an. Um zunächst gesagt zu bekommen, falsche Nummer, falsche Stelle. Neue Nummer, neuer Versuch, wieder falsche Abteilung. Weitere Nummer, richtige Ansprechpartnerin, falschen Prozedere. So wurde der jungen Frau am Telefon mitgeteilt, dass sie bei ihrem Besuch im Dezernat falsche Informationen erhalten habe. Einen Termin machen, um dann zur Anzeige ins Dezernat zu kommen, gehe nicht. Erst zum Abschnitt, dort die Anzeige machen, dann warten, dann Rückmeldung bekommen und dann irgendwann einen Termin zur Vernehmung im Dezernat für Sexualstraftaten bekommen. Völlig verdutzt über diese gänzlich anderen Informationen, wusste die junge Frau zunächst nicht recht wie reagieren und sah schon wieder den Strudel des Scheiterns vor sich aufbrechen. Stattdessen fragte sie jedoch nach Alternativen. Sie Beamtin erklärte ihr, dass sie jetzt auch direkt gleich am Telefon die Anzeige aufnehmen könnte. Und beschloss dies dann auch gleich für die junge Frau. Die junge Frau machte so also völlig unerwartet am Telefon eine Anzeige, während sie in den Gängen ihrer Uni stand und hoffte, dass die Details, nach den sie gefragt wurde direkt aus dem Fenster flogen, statt durch die Gänge in die Wahrnehmung der vorbei rauschenden Kommiliton_innen zu wabern.

Die Beamtin glaubte kaum, dass die junge Frau zum Zeitpunkt der Tat nicht betrunken war und befragte sie nach psychischen Erkrankungen und Diagnosen. Sie bevormundete die junge Frau bei der Wahl des Termins und nachdem sie aufgehört hatte in Babysprache zu sprechen, klang sie paternalistisch und wertend. Als das Telefonat beendet war, hatte die junge Frau einen Termin in zwei Wochen, das Gefühl abgewertet und entmündigt worden zu sein und unfassbar viel Angst. Eine Angst, die die vollen zwei Wochen blieb. Eine Angst, die Alltag und Sozialkontakte einnahm und ihr den Schlaf raubte. Eine Angst, die sie sich viel zu selten zu äußern traute. Und trotzdem hatte sie das Gefühl ihr Umfeld unterstützte sie und versuchte ihr Halt zu geben.
Zu dem Termin begleitete sie eine Freundin und es war ihr kaum möglich zu sagen, wie dankbar sie dafür war.
Es folgten drei Stunden Vernehmung. Fragen, die ins Detail gingen, Fragen, deren Sinn sich der jungen Frau vollkommen entzogen. Jedes unangenehme Lachen, jedes Zögern wurde protokolliert… Drei Stunden Erinnerungen an ein Geschehen der Gewalt, dass sie meistens einfach lieber vergessen hätte.

Wo ist der empowernde Moment in diesem Text? Der beginnt nach der Vernehmung, denn entgegen aller Erwartung ging es der jungen Frau danach nicht schlecht. Im Gegenteil. Sie fühlte sich befreit und erleichtert. Sie hatte das Gefühl wieder atmen zu können und wieder Alltag zu haben. Sie hatte in ihrem Kopf wieder Platz für Alles andere. Sie war wieder bei sich.
Sie wollte dennoch warten, was das Ergebnis der Ermittlung sein würde, um zu wissen, ob die Geschichte ein Happy End haben würde. Aber dann wurde ihr während eines Gesprächs mit einer wichtigen Person klar: es gab schon diverse Happy Ends in dieser Geschichte: OBWOHL es das deutsche Rechtssystem einer nicht leicht macht, bin ICH diesen Weg gegangen. Egal wie scheiße die Beamt_innen sein mögen, ICH bin für MICH eingestanden. Ich habe mir den Raum genommen und mir Gehör verschafft. Ich bin nicht kaputter oder traumatisierter dadurch. Ich hatte Momente der Erschöpfung und der Resignation. Ich habe viel geflucht, viel geweint und musste oft in Momenten höflicher sein, als ich mich fühlte. Ich habe Schlaf geopfert und hatte mit Verunsicherung und Angst zu kämpfen. ABER ich habe den Mistkerl angezeigt und ich habe es überlebt! Egal was die Beamt_innen von mir und meinem Erlebten halten mögen, die Anzeige MÜSSEN sie aufnehmen, sie MÜSSEN ermitteln. Ich habe ein Zeichen gesetzt. Für mich und für den Typen, den ich angezeigt habe. Ich habe ein µ (Mü) Raum erkämpft. Ich habe mich gegen Gewaltstrukturen gestellt, zurück gekotzt, den Täter geblamt, dem Patriarchat vor die Füße gepinkelt (im stehen wohlgemerkt!), Rape-Culure die Stirn geboten und bin laut geworden. Das ist der empowernde Moment, das ist das Happy End, das ist der wichtige Teil der Geschichte. Nicht was jetzt noch passiert.

7 Gedanken zu „An_Gezeigt!

  1. Ich gratuliere, dass Du das alles geschafft hast – entgegen all den Widrigkeiten, Macht- und Gewaltstrukturen!
    Und weil ich glaube, dass der Raum, den Du erkämpft hast, letztendlich auch anderen Betroffenen zugute kommen wird, sage ich auch Danke!
    Danke auch dafür, dass Du Deine Erfahrungen & Erkenntnisse hier teilst.
    Sehr überzeugend finde ich, sich nicht von dem ‘Ergebnis der Ermittlung’ abhängig zu machen. Das hat mich nochmal daran erinnert, dass von der Anzeige wegen ‘sexueller Nötigung’, die ich vor langer Zeit mal gestellt habe, trotz aller Frustration über die Einstellung des Verfahrens (Tat im europ. Ausland → Anzeige an dortige Behörden weitergeleitet, von denen dann nie etwas kam) auf jeden Fall etwas positives geblieben ist. Geblieben ist ein Gefühl von ‘Ich habe mir meine Wahrheit nicht nehmen lassen’ (sie ist offiziell protokolliert) und ‘Ich habe gegen die Scheiße getan, was ich konnte’ (zumindest ist der Täter aktenkundig, was eventuellen weiteren Betroffenen zugute kommen könnte).
    Alle Gute und weiterhin viel Kraft!

  2. Das hat dich sicher unvorstellbar viel Kraft gekostet, aber du hast es geschafft. Das freut mich für dich. Ich hatte schon deinen Bericht über deen ersten Anzeigeversuch gelesen. Aber weil wir uns eigentlich nicht kennen, mich nicht getraut zu kommentieren und dir Mut zu zusprechen, obwohl ich das gern getan hätte. Ein bisschen schwach, finde ich jetzt, aber umso mehr freue ich mich heute von deinem Erfolg zu lesen und will dir das jetzt unbedingt sagen: Sei weiterhin so stark, du weisst, dass du’s bist!

  3. Ich bin begeistert, wie du das alles gemeistert hast…
    … und jetzt muss ich mir erstmal ein Taschentuch holen (du hast mich sehr bewegt. Danke dafür!)
    Nur ein Letztes noch: Ich habe ebenfalls deinen vorherigen bericht über die Anzeige gelsen und auch hier hast du mich so sehr mitgenommen und bewegt, dass ich weinend und fassungslos vor meinem Rechner saß. Und wenn ich jetzt lese, was du für dich aus der ganzen Sache mitnimmst, dann kann ich nur sagen: Du bist großartig und einfach unglaublich. Bitte hör niemals auf. 🙂 Wir brauchen mehr Menschen wie dich.

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