Das scheint unglaublich wichtig zu sein. Für mich, wie für alle anderen.
Es gibt tausend Kategorien, in die ich gerne gesteckt werde oder in die ich mich gerne stecken würde, mich aber nicht traue. Wenn ich auf der Straße unterwegs bin, bin ich für die meisten ganz selbstverständlich die Hetera. Rock, Dekolletee, roter Lippenstift, da gibt es dank Heteronormativität für die meisten keinen Zweifel. Wie doof nur, dass ich mit Typen so gar nichts anfangen kann. Wenn das geklärt ist, bin ich die Lesbe. Lieber Lesbe als Hetera, weil das meiner Lebensrealität näher kommt, aber mit der Zeit merke ich, dass mir auch in dieser Schublade der Platz fehlt, die Luft ausgeht. Also Queer? Queer find ich gut. Aber darf ich mich da einordnen? Bin ich offen, freigeistig, non-normativ genug um mich da einsortieren zu dürfen? Ich fühle mich zu klein, zu unreflektiert, zu uninformiert für queer und habe Angst, nicht das Recht zu haben, diesen Begriff auf mich zu beziehen. also lieber nicht queer. Dabei würde ich doch so gern…
Beim Arzt oder im Supermarkt bin ich die Dicke. Stört mich nicht. Aber wenn es um Themen wie fat grrrl* visibility oder fat shaming geht, fühle ich mich angesprochen. Aber darf ich das? Bin ich dafür dick genug? Und darf ich mich im politischen Sinne als dick empfinden, obwohl ich mich im Alltag anders sehe?
Meine High-Heels machen mich zum Mädchen, wenn ich „Glück“ hab zur Femme. Aber ich will High-Heels tragen und meine Weiblichkeit, meine Kurven und meinen Eyeliner lieben, ohne diesen Stempel. Ich will anderen die Tür aufhalten dürfen, ohne dass daraus Diskussionen entstehen. Aber darf ich bewusst feminin sein, meine Weiblichkeit feiern und trotzdem erwarten als Nicht-nur-frau wahrgenommen zu werden?
Oder muss ich dafür aufhören das Bild von Frau durch ein Äußeres zu bedienen?
Ich selbst empfinde mich als unpolitisch. Nicht, weil ich kein Interesse daran hab, sondern weil ich das Gefühl habe, nicht genug Wissen und Sicherheit zu haben, um mich damit identifizieren zu dürfen. Das was für mich Basics sind, die nicht ausreichen, um mich als feministisch zu bezeichnen, sind für andere aber schon wieder Überkorrektheit und Radikalismus. Je nach Setting bin ich entweder die nervige spielverderbende political correctness viel zu ernstnehmende Haarspalterin oder die unbedarfte Süße mit den viel zu biologistischen Denkmustern.
Ich empfinde mich als relativ konservativ, andere auch. Wieder andere sehen mich als queer-feministischen politisch agierendes Wesen. Gefällt mir. Wär ich gern, trau ich mich aber nicht. Täglich, minütlich werde ich gelabelt. Bekomme ich Stempel aufgedrückt, gegen die ich mich wehre . Zum Einen, weil ich sie ablehne, zum Anderen weil ich mich nicht traue, die die mir gefallen anzunehmen. Habe ich das Recht Attribute die mir gefallen, die sich für mich erstrebenswert anfühlen anzunehmen oder muss ich dafür etwas erfüllen? Was ist entscheidend? Wie mich andere wahrnehmen? Wohl kaum! Wie ich mich selbst wahrnehme oder was ich mir wünsche zu sein?
Kann ich Begrifflichkeiten entwerten oder ihnen die Schlagkraft nehmen, weil ich nicht genug irgendwas bin? Ab wann darf ich mich mit Dingen identifizieren?
Letztendlich scheint es so, als wäre die Frage wer ich bin, für die meisten dank Kategorisierung, Stereotypisierung und Heteronormativität leicht zu beantworten, während ich zwischen Stapeln von Schubladen, Etiketten und Bezeichnungen stehe und nicht weiß, was ich überhaupt sein darf.
Vielen vielen Dank Debs für diesen Artikel! Du sprichst nicht nur dir, sondern auch mir aus der Seele. Was mir dabei in meiner Denke aufgefallen ist: Im Gegensatz zu den Aussagen „Ich will nicht in eine Schublade gesteckt werden“, denke ich manchmal „Ich würde gerne mal in eine Schublade passen“.
So sieht’s nämlich aus.
Ich versuche auch immer mal wieder einen Fuß in die feministisch-queeren-alternativen-… Denkstrukturen zu bekommen. Ein ambitioniertes Anliegen!
Ebenso ambitioniert wie: hip/cool sein, aber kein Hipster. Schließlich wäre das ja schon wieder viel zu Mainstream.