Not Your Goy*Toy – Warum ihr nicht wisst, was ein Goy ist, und ich den Begriff wc-Deutsch liebe.

Who is the Goy here?
Als ich nach einem Titel für die Kolumne gesucht habe, war ich ziemlich schnell von „Not Your GoyToy“ begeistert. Als ich den Titel allerdings an meinen Freund*innen ausprobiert habe, war die Reaktion immer sehr verhalten. Die meisten von ihnen hatten keine Ahnung, wer oder was ein Goy ist und was der Titel bedeuten soll. Witzigerweise lag das Unverständnis bei den meisten daran, dass sie genau das sind – Goys.

Welch eine Ironie! Und im kleinen Rahmen ist es auch noch mal die Bestätigung für das, was queere Jüd*innen schon lange wissen: dass jüdisches Wissen und jüdische Perspektive kein sichtbarer Teil (queer-)feministischer Communitys ist.

Wenn ich mich unter Feminist*innen und Queers befinde und sage „Hey there! Lasst uns mal über jüdischen Feminismus reden!“, sehe ich sie verlegen mit den Füßen scharren, verunsichert zu ihren Geschichtsbüchern schielend; nicht so sicher, was ich eigentlich von ihnen will. Nein, es geht mir nicht um irgendwas mit Nazi-Deutschland und erst recht nicht um Israel. Ich meine so ganz in der Gegenwart und in unseren Communitys. Ich sehe die Verwirrung, die Genervtheit, das Unverständnis und ich weiß sogar, wo es herkommt. Jüdische Perspektive als feministische Praxis ist für wc-Deutsche in ihrer Normblase ungefähr so verständlich und naheliegend wie, na ja … die Bezeichnung „Goy“. Ich will nicht sagen, dass das okay ist, aber überrascht bin ich nicht. Nun gut. Jetzt bin ich ja da …

Dennoch ist „Goy“ eigentlich nur meine zweite Wahl, wenn es mir darum geht, christliche Dominanz unter Feminist*innen und Queers sichtbar zu machen und mich davon abzugrenzen. Es ist fantastisch, wenn ich mal so richtig in jüdischer Tradition ranten will. Aber meine super mega Empowerment-Wortentdeckung seit 2015 ist eigentlich „wc-deutsch“!

Wc-deutscher Feminismus ist auch keine Lösung
Ich habe mir in den letzten zwei Jahren angewöhnt, nicht nur von weißem Feminismus zu sprechen (dass der langweilig, eindimensional und sinnlos ist, sind keine Breaking News), sondern von wc-deutschem Feminismus. In Schland sind weiße Debatten an sich nicht nur weiß, sondern auch aus christlicher Kulturtradition heraus entstanden. Was bedeutet, dass sich weißer bzw. wc-deutscher Feminismus in seinem weißen Universalismus unausgesprochen immer auch auf eine christliche Norm bezieht. „Wc-deutsch“ als Abkürzung für „weiß und christlich (sozialisiert)“ ist damit nicht nur ein kritischer Bezug auf Enthnisierungspraxen in weißen feministischen Zusammenhängen, sondern Teil von Abgrenzungspolitiken, Empowerment und eine Chance für Bündnisse.

So weit so theoretisch. Wenn ich in Räumen weißer Feminist*innen oder Queers bin (und sind wir ehrlich, das sind die meisten), mag ich auf den ersten Blick erst mal da sein, wo ich hingehöre. Und ich will jetzt an dieser Stelle keine Diskussion eröffnen, ob ich als Jüdin weiß bin beziehungsweise sein kann oder nicht. Denn selbst wenn ich je nach Diskurs geschichtlich bedingt nicht weiß sein sollte, bin ich doch mit Sicherheit nicht Of Color oder Schwarz und habe damit erst mal einfachen Zugang zu weißen Räumen. Faktisch hat das, was da passiert, aber dann trotzdem reichlich wenig mit mir zu tun. Ganz abgesehen davon, dass ich von einem weirden Konglomerat aus linkem philosemitischen Schicksalsvoyeurismus und Exotisierungen einerseits und antisemitischen Ethnisierungsversuchen andererseits überrollt werde, sobald ich als Jüdin sichtbar werde, bleibe ich auch nur Teil der glücklichen weißen Femi-Familie, wenn ich mich als brav assimilierte Jüdin gebe. Sobald ich auf die vor Christentum triefenden und für mich oft befremdlichen Inhalte und Diskussionen aufmerksam mache, war’s das mit der weißen Happyness.

In den 1980ern und 1990ern gab es sehr sichtbare Versuche von Jüd*innen, darauf aufmerksam zu machen, dass es für Jüd*innen in feministischen Kontexten keine Sichtbarkeit und in den Debatten keinen Raum für sie gibt. Sie entwickelten die Bezeichnung „wc-deutsch“ als Abgrenzung zu dem Feminismus, der sie nicht meinte und nicht hören wollte, und als Zeichen der Solidarität gegenüber marginalisierten Gruppen, denen es ähnlich ging. Mit dem Gefühl, dass die Situation in (queer-)feministischen Räumen heute nicht besonders anders ist, war die Reaktivierung von „wc-deutsch“ einer meiner größeren Empowerment-Momente der letzten Jahre. Ich feiere den Begriff besonders, weil er anders als „Goy“ Bündnismöglichkeiten aufmacht. Er bietet Raum für Allianzen, z.B. zwischen Menschen, die von Rassismus, antimuslimischem Rassismus und Antisemitismus betroffen sind, ohne dass wir uns in Identitätspolitken verstricken oder versuchen müssen, wegen unterschiedlicher Betroffenheiten um Abgrenzungen zu ringen.

Außerdem regen sich wc-Deutsche so herrlich darüber auf, weil Toilette und so. Besser geht es also eigentlich gar nicht und deswegen kann ich nicht anders, als „wc-deutsch“ bei jeder sich bietenden Gelegenheit als intervenierende Vokabel zu promoten. Also: wc-deutsch! wc-deutsch! wc-deutsch!

Zunächst erschienen beim Missy Magazine

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