Let's talk about… Alles, aber nicht Sex!

Ich schreibe jetzt seit über einer Woche an diesem Text. Das Problem ist immer wieder, dass über Schamgefühle schreiben Scham auslöst. Ein Teufelskreis.
Sich mit den eigenen Tabus, Wiederständen, der eigenen Sprachlosigkeit auseinander setzten, bedeutet sich in Dingen zu offenbaren, die bisher nicht besprochen wurden, weil sie mit Peinlichkeit besetzt sind.
Ich bin Mitte zwanzig, schlafe mit Menschen seit ich 14 bin. Bin gegen klassische Beziehungskonzepte. Predige, dass es irrelevant ist, mit wie vielen oder wenigen Personen mensch vögelt. Hatte X Diskussionen darüber, warum/dass ich keine „Schlampe“ bin, auch wenn ich mich mit mehr als einer Person vergnüge. Ich bin gegen Erwartungen, Verpflichtungen und Verbindlichkeiten. Bin für frei gelebte Sexualität. Für Alles was im Konsens stattfindet und Spaß macht, gegen eine negativ ausgelegte Bedeutung von „Perversion“. Verbreite die Kunde der Kommunikation.

Und obwohl ich an all das glaube und mir genau diese Dinge ausgesprochen wichtig sind, ist es in der Praxis tatsächlich so, dass ich mit enormen inneren Widerständen zu kämpfen habe. Sprachlos bin, mich gehemmt fühle. Alles andere als frei bin.
Ich habe mich nie mit Freund_innen über Sex ausgetauscht. Nicht mal so á la Sex and the City. Dabei habe ich kein Problem damit, wenn andere Menschen mit mir über Sex sprechen. Auch nicht im Detail. Solange nicht von mir erwartet wird das Gleiche zu tun.
Es ist auch nicht so, dass ich es nicht gern das eine oder andere Mal getan hätte. Vielmehr fehlte mir das Vokabular. Wusste ich nicht, wie mich ausdrücken. Hatte Ideen von das Richtige und das Falsche sagen, von Scham und Peinlichkeit in meinem Kopf.
Wie sprechen, ohne „vulgär“ oder zu technisch zu klingen? Wie reden, ohne dass andere sich unwohl oder gleichermaßen peinlich berührt fühlen? Aber wo sollte mensch auch sowas lernen? In der Schule ging es nur um „männliche“ Ejakulation (schon das Wissen um eine mögliche weibliche* wäre in späteren Jahren hilfreich gewesen) und Schwangerschaft. Und Zuhause ging es irgendwie gar nicht.

Was in Gesprächen mit Freund_innen nicht funktionierte, ist mir dafür mit Menschen, mit denen ich Nähe teile um so wichtiger. Konsens, Sicherheit und ein gutes Gefühl für Alle beteiligten, sind für mich der Inbegriff von Erotik. Und auch wenn ich die gleichen Widerstände empfinde wie mit Freund_innen im Gespräch, ist es mir hier wichtig diese zu überwinden. Aber auch das birgt Tücken. Auf die Nachfrage „Fühlst Du Dich wohl“ bekam ich schon die schockierte Gegenfrage „Du redest beim Sex?!“ Und auch schon ein entspanntes Lachen, wurde als „unsexy“ kategorisiert.
Ich dagegen finde meinen inneren Kampf „unsexy“ und freue mich über jedes Lachen, dass Zeichen von Entspannung ist. Genau diese „Unsexyness“ meiner inneren Anspannung ist es, warum ich mich auch darüber nicht austausche. ‚Denn wie „unreif“, „verklemmt“, „unerotisch“ ist es denn bitte, wenn ich wie eine zwölfjährige mit mir kämpfe und mich ziere Dinge auszusprechen, die im Umgang mit Sexualität selbstverständlich sein sollten‘. Nicht, dass ich das wirklich glaube, aber das ist es, was sich in meinem Kopf abspielt.

Doch es gibt noch mehr Barrieren über die ich stolpere im Zusammenhang mit Sex.
Und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr beginne ich zu glauben Sex an sich ist eine riesige Barriere. Dabei mag ich Sex. Ich finde Sex toll. Sowohl mit mir, wie auch mit anderen. Das Problem mit Sex mit anderen ist, dass es dazu erstmal kommen muss. Das Hindernis dabei ist meine eigene Hemmschwelle. Ich kann mich noch so sehr zu einer Person hingezogen fühlen; auf jeder Ebene spüren, dass es genau das ist, was ich jetzt will, trotzdem erlebe ich einen immensen Widerstand in mir. Ich spüre Angst und Unsicherheit und bevor ich ,einfach so‘ jemenschen „abschleppe“ oder mich „abschleppen“ lasse, findet in mir ein innerer diffuser Kampf statt und ein unglaublicher Akt der Überwindung ist vonnöten. Und mit Sicherheit spielt da irgendwo auch so Unsinn wie Versagensängste mit rein, aber vor Allem irgendwas, das ich nicht benennen kann. Ich dachte immer andere Menschen spüren diesen Widerstand nicht und dass sich mit den Jahren das Gefühl von Aufregung, Abenteuer und Wagnis legt. Dass es gewohnter wird, und etwas selbstverständlicher, weniger beängstigend. Bei anderen Menschen in meinem Umfeld sieht das tatsächlich in der Regel nach ,einfach so‘ aus.  Und ich dachte ich sei die einzige, die manchmal länger mit niemenschen schläft, weil sie das mit der Überwindung einfach nicht gebacken bekommt.
Bis ich mich getraut habe zu fragen und ein mir sehr nahestehender Mensch erzählte, dass auch er diesen Widerstand kennt und das auch er das Gefühl hatte, dass bei mir Alles so easygoing ist. Und dass Alkohol beim Überwinden dieses Widerstandes eine große Rolle spielt. 
Ich trinke nicht und nehme auch sonst keine Drogen. Ich kann also diesen Widerstand nicht übertünchen. Ich muss mich mit ihm auseinander setzten und mich fragen, ob er dahin gehört und wenn ja, warum.
Ich habe keine Antwort darauf, vielleicht, weil ich dazu benennen können müsste, worin genau der Widerstand besteht. Aber auch das kann ich nicht greifen. Vielleicht fehlt dazu einfach wieder das Vokabular.

Warum schreib ich all das? Denn natürlich ist mir klar, dass Menschen das lesen könnten, mit denen ich vielleicht noch genau das erleben und teilen möchte. Und dass dieser Text diese zwischenmenschlichen Begegnungen zusätzlich komplizieren könnte.
Das war der Grund, warum ich seit Ewigkeiten am Schreiben und Löschen und am Neuschreiben bin. Weil ich nicht prüde, nicht verklemmt, nicht unattraktiv, nicht kompliziert, nicht unreif und und und wirken will.
Weil es Menschen da draußen gibt, die ich anziehend finde und mir eventuell bestehende Chancen damit nicht verbauen wollte. Weil ich mich sooooo uncool fühle in meinen Hemmungen und weil der Wunsch cool sein zu wollen sooo 14 ist und weil ich weiß, dass der Gedanke cool sein zu wollen, sei sooo 14, einfach nicht wahr ist.

Ich habe es trotzdem geschrieben, weil es mich unheimlich unter Druck setzt das Gefühl zu haben, dass ich eigentlich mit Sexualität reifer, erwachsener und entspannter umgehen können müsste, als ich es tatsächlich kann. Und dazu kommt, dass dieser Druck natürlich wächst je älter ich werde. Und ich vermute, dass da draußen noch mehr Menschen sind, die sich manchmal auch so fühlen, als seien sie seit ihrer Pubertät in bestimmten Aspekten ihrer Sexualität nicht voran gekommen. Ich will ein Tabu brechen. Mein Tabu, von dem ich weiß, das es nur existiert, weil es mir beigebracht wurde. Ich will all diese Dinge einmal aussprechen, damit sie vielleicht nicht mehr wie eine Wand vor mir stehen. Denn eigentlich weiß ich ja, dass gelebte Sexualität nichts mit dem Kram im Fernsehen zu tun hat und das viele Dinge nicht unausgesprochen sind, weil sie für andere absolut klar sind, sondern weil ähnliche gelernte Tabus wirken.
Ich schreie meine Peinlichkeit in die Welt, damit sie am Ende vielleicht etwas weniger unangenehm ist. Und wenn der Versuch nach hinten los geht, kann ich ja immernoch meinen Namen ändern.

4 Gedanken zu „Let's talk about… Alles, aber nicht Sex!

  1. Ich finde du bist wirklich sehr mutig und es ist schön, dass du so offen schreibst. Ich kämpfe auch immer noch mit meinen unbewussten Vorstellungen von Sexualität, die von den Medien geprägt sind, und den Ängsten nicht irgendwelchen Normen zu entsprechen und versuche mich davon zu befreien. Es macht mich richtig traurig, was diese Hemmungen mit mir machen und wie sie mir im Wege stehen, obwohl ich mir ihrer Falschheit bewusst bin.

  2. Dieser Text ist alles andere als unreif, prüde und unsexy. Er ist genau das Gegenteil. Ich find ihn „cool“. 😉 Was um Himmels Willen könnte reifer sein, als sich mit der eigenen Sexualität und den ganzen internalisierten Tabus auseinanderzusetzen? Sie ins Detail zu zerlegen und danach zu suchen, woher sie kommen und ob sie „dahin gehören“?
    Zu lernen, über Sex zu reden, find ich persönlich mega wichtig, weil ich das Gefühl habe, dass es eben von diesen „Peinlichkeits-Gefühlen“ befreit und weil es Nähe erzeugt und weil ich denke, dass ich dadurch noch viel über Sex und mich lernen kann. Deshalb bin ich da auch grad dran.
    Und nichts ist weniger prüde und verklemmt, als diesen inneren Prozess auch noch öffentlich zu machen. Das ist mutig und ein erster großer Schritt, Worte zu finden.
    Wenn ich irgendetwas unter „sexy“ verstehe, dann wäre das auf jeden Fall, sich selbst zu kennen, über die eigene Sexualität Bescheid zu wissen und selbstbewusst mit ihr umzugehen. Das fällt aber nicht vom Himmel, bei niemenschen, der_die in dieser Gesellschaft sozialisiert wurde, möchte ich meinen. Der einzige Weg dahin ist mE die von Dir beschriebene Selbstreflexion. Du lernst Dich gerade besser kennen (ich mich auch. 🙂 ), mach‘ weiter so!!

  3. Ich dachte mir auch schon so: Jetzt bin ich schon 20 und hab das mit der Sexualität und Kommunikation immer noch nicht auf die Reihe bekommen. Ich bin like the total loser. Ich war so frustriert und emotional so überzeugt davon, dass ich die einzige Person bin, die das alles nicht hinbekommt. Aber ich denke das geht sehr vielen so, auch das mit den Hemmungen.
    Danke für den Artikel!

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