Ein besonderes Schwerpunktthema dieses Blogs ist ja immer wieder der Blick auf die eigene Identität. Und das macht ja auch Sinn, denn Identität ist persönlich, sie ist politisch, sie ist maßgeblich.
Ein wichtiger Teil meiner Identität ist das Jüdischsein. Aber was genau bedeutet das eigentlich?
Als Kind einer jüdischen Mutter, die einen sehr starken Bezug zu dieser_ihrer Religion hatte, bin ich die ersten neun Jahre meines Lebens in einer liebevollen, aber festen Umarmung der jüdischer Tradition und des jüdischem Bewusstseins aufgewachsen. Und auch, wenn mein heutiges Glauben vermutlich nicht mehr viel mit dem Judentum und dessen Traditionen zu tun hat, bin ich doch gläubig und jüdisch – eine gläubige Jüdin. Religion, Glaube, das Judentum und das Jüdischsein, sind feste Bestandteile meiner Identität. Es bringt mit sich, dass sich meine Genervtheit nach einem missglückten Tag gen Himmel wendet und ich bei glücklichen Fügungen ein kurzes Danke nach „Oben“ lächle. Es hat zur Folge, dass ich mir, stark geprägt durch Matt Ruffs Darstellung von Mister Sunshine, etwas, das ich der Einfachheit halber „Gott“ nenne, als schreibende, dichtende, kreative, narzisstische, liebevolle, egoistische, fürsorgliche, distanzierte und involvierte Transzendenz vorstelle. Auch wenn das sehr anthropomorphistisch gedacht ist, hilft es in Krisenmomenten, nicht die Hoffnung zu verlieren und bietet in solchen Zeiten gleichermaßen einen widerstandslosen Adressat für meine Wut.
All das beschreibt sehr vereinfacht und verknappt, was es für mich bedeutet gläubig zu sein. Aber was bedeutet es jüdisch zu sein?
Jüdischsein löste in der Begegnung mit anderen Menschen in meinem Leben viele verschiedene Reaktionen aus. Auf meiner ersten Grundschule, die eine jüdische war, bedeutete es eine Gemeinschaft zu bilden. Bedeutete es aber auch, Kinder, die im Verdacht standen Schweinefleisch zu essen, zu ärgern und auszuschließen. Es bedeutete als nicht christliche Religion in Deutschland eigne Schulen haben zu können. Es bedeutete sich an die Polizei vor der Schule zu gewöhnen.
Auf einer meiner anderen Grundschulen, einer Grundschule in Baden-Württemberg, bedeutete es plötzlich nicht mehr zur Gemeinschaft zu gehören. Es bedeutete nicht mit den anderen über Pastor X und Pfarrer Y Witze machen zu können, damit aufgezogen zu werden, dass mensch den Religionsunterricht „schwänzen“ würde und irritierte Blicke bei dem Versuch Witze über Rabbi Blaufeld zu machen. Es bedeutet anders zu sein. Kinder fanden es befremdlich, dass ich in die Synagoge, statt in die Kirche und zu einem Religionsunterricht außerhalb der Schule, in einer anderen Sprache ging.
In meiner dritten Grundschule, wieder in Berlin, war der Umgang außenstehender Menschen, mit meiner religiösen Verortung wieder eine andere: Lehrer_innen thematisierten, ständig und mit einer mir bis heute befremdlichen Begeisterung, mein Jüdischsein, was zur Folge hatte, dass Kinder, die sich als Teil eines politischen Konflikts verstanden, den allerdings weder sie noch ich in irgendeiner Weise begriffen, anfingen mich zu beschimpfen, bespucken oder symbolisch zu erschießen.
Von all diesen Erfahrungen, ist eine Reaktion geblieben, die mir bis heute ständig begegnet, mich irritiert, mich wütend macht: die der Lehrer_innen. Sage ich, ich bin gläubig, sind die Reaktionen in der Regel ablehnend oder „kritisch“. Sage ich das in Verbindung mit dem Judentum oder äußere explizit, dass ich Jüdin bin, kehren sich die Reaktionen ins Gegenteil. Jüdischsein wird positiv bewertet (warum wird es überhaupt bewertet?), es ist spannend, und oft schwingt eine gewisse „Exotik“ mit (ohne diesen Begriff missbrauchen zu wollen). Es wird auf Intelligenz und Begabung geschlossen (nicht nur von Sarrazin), es sichert mir Praktika und Schulplätze. Und ich gebe zu, oft genug habe ich das genutzt. Jüdischsein verleiht einen Sonderstatus, der mit einer Auseinandersetzung der deutschen Geschichte verwechselt wird. Es ist keine angebrachte Verarbeitung der Vergangenheit Jüd_innen einfach zu besseren Menschen zu erklären, aber das passiert. Es ist auch nicht angebracht mich oder sonst eine jüdisch identifizierte Person, aufgrund dieser religiösen Verortung als besonders glanzvoll für den eigenen Status zu erachten (Es gibt Istitutionen, die das gerne machen). Und Quoten-Jüd_innen für das eigen Ansehen, dienen genauso wenig der Aufarbeitung wie der Wiedergutmachung. Ich bilde mir gerne ein, dass meine jüdische Identität heute in der Gesellschaft, aber auch in der Begegnung mit Menschen keine Rolle mehr spielt. Und wenn es um Ausgrenzungserfahrungen, um Ausschlüsse und Absprüche geht, ist dem auch häufig so. Nichts desto trotz lesen, interpretieren und erwarten Menschen mich als Jüdin häufig anders. Jüdischsein ist längst kein Neutrum. Als Jüdin werde ich Gegenstand eines kollektiven schlechten Gewissens, das statt dies anzuerkennen, versucht über mich und viele andere zu kompensieren. Don‘t do that! Mein Jew-Ich nervt das gewaltig!
Jüdischsein und Gläubigsein bedingt sich in meinem Fall, in der Begegnung mit anderen, ruft es allerdings meist grundlegend verschiedene Reaktionen hervor. Es wird anders gewertet und bedingt zwei völlig verschiedene Bilder bei den meisten Menschen. Gläubigsein ist uncool, mit dem Jüdischsein dagegen steigt in vielen Kontexten der „coolness-Faktor“ gewaltig. Natürlich hat das auch Auswirkungen darauf wie ich mich identifiziere und wie ich mit meinem Jüdischsein umgehe. In Zeiten des negativen Feedbacks, war es kein Geheimnis, aber es ging ein Unbehagen mit einher. Das habe ich heute noch ab und an, wenn es um Gläubigkeit geht. Aber als Jüdin, die ich bin, als die ich mich identifiziere, nutze ich häufig die Bilder, die bei dieser Bezeichnung mitschwingen, doch je älter ich werde, je mehr Identitäten neben meinem Jew-Ich Raum finden, desto klarer wird mir, dass die Reaktionen außenstehender auf (mein) Jüdischsein nicht nur ärgerlich sind, sie sind Symptom eines Problems, das nicht benannt wird, weil positive Stereotypisierungen nicht als Problem erkannt wird.
mein Vater kommt aus israel und an pessach fliegen wir zu seiner familie. mich hat die jüdische kultur immer fasziniert, aber je älter ich wurde, desto empörter war ich über die sexistischen züge. natürlich geht es da um auslegung, aber ich weiß nicht, ob ich meine bat mizwa machen soll (die gibt es ja bei den orthodoxen nicht mal).
was würdest du mir raten ?
Hey!
Ich glaube ich bin da vielleicht die falsche Ansprechpartnerin. ich bin nur die ersten neun Jahre meines Lebens in jüdischen Zusammenhängen aufgewachsen. Danach gezwungender Maßen sekular. Ich persönlich habe nicht vor meine Bat Mizwa nachzuholen. Viel geht es da ja nur um Geld und Geschenke. Mir persönlich gibt dieses Ritual nichts.
Warum denkst Du darüber nach? Ist nur Dein Vater Jude? Dann müsstest Du nach jüdischem Recht ja ohnehin erstmal konvertieren. Wenn Du das Gefühl hast eine Bat Mizwa ist für Dich wichtig oder bestätigt Dich in Deiner Identität oder wäre ein wichtiges Symbol für Deine Verbundenheit zum Judentum, dann warum nicht?! Auf der anderen Seite: brauchst Du für all das wirklich eine Bat Mizwa?
Ich glaube da gibt es keine „richtige“ Antwort drauf. Es eilt ja auch nicht und läuft Dir nicht weg.