Gedanken zur jüdischen Elternschaft

Sich als Jüdin zu erkennen zu geben oder gar jüdische Traditionen auszuleben ruft je nach Kontext sehr unterschiedliche Reaktionen hervor. Eine davon ist die Religionskritik-Keule. Dass diese häufig von Leuten kommt, die beispielsweise an Weihnachten zu Familie und Weihnachtsbaum fahren, möchte ich nur nebenbei anmerken.
Diese Relioginskritik-Keule kommt besonders vehement, wenn es um Perspektiven zur Kindererziehung geht. Wenn ich formuliere, dass ich ein Kind, für das ich wohlmöglich irgendwann verantwortlich sein könnte, mit jüdischem Einfluss aufwachsen lassen möchte, ist das Geschrei groß.
„Neutrale“ Erziehung wird gefordert. Diese Forderung kommt in der Regel aus einer Position, in der Religion egal sein kann, weil ihr (angeblicher Nicht-)Glauben innerhalb der Gesellschaft dominiert. Neutral bedeutet in Deutschland christlich. Es bedeutet Weihnachten, Ostern und Silvester, gesetzliche Feiertage, einen Kalender und ein Jahr, das nach christlichen Regeln funktioniert. Neutralität ist da ein Irrtum.
Wenn ich über Kindererziehung nachdenke, ergeben sich in meinem Kopf verschiede Szenarien:
Meine jüdische Familie wird für ein Zukunftskind in meinem Leben ohnehin nur eine Erzählung sein. Die meisten sind bereits gestorben oder werden wahrscheinlich nicht mehr leben, wenn ein Kind Teil meines Lebens werden sollte. Es wäre also einfach den jüdischen Teil der Familiengeschichte weg zu lassen. Das würde aber auch bedeuten meine tolle Mutter, meine Großeltern und meine großartige Großtante und meinen wunderbaren Großonkel auszuklammern. Denn große Teile meiner Geschichte, und die Verluste, die ich erlebt habe, lassen sich nicht erklären ohne meine jüdische Identität und die jüdische Identität meiner Familie zu benennen. Es würde bedeuten einen großen und wichtigen Teil meiner Selbst aus dem Leben mit einem Kind rauszuhalten. Es würde bedeuten so zu tun, als hätte es wundervolle und schmerzhafte Momente und große bzw. wichtige Teile meines Lebens und meine Mutter, meine Großtante und meinen Großonkel, meine Uroma und meinen Uropa nie gegeben.
Warum sollte ich das tun?
Die zweite Möglichkeit in meinem Kopf ist, zu erzählen. Die Geschichte meiner Familie offenzulegen ohne Religion, Familienritus, als reine Historie und geschichtliche Darstellung. Das würde bedeuten ich biete meinem Kind die Möglichkeit sich mit etwas zu identifizieren, das eine jüdische Identität wäre, die nur auf Tot, Verlust und Trauma beruht. Es wäre der Schrecken deutscher Geschichte, es wäre Familienschicksal ohne Perspektive und es wäre nur die halbe Wahrheit.
Oder ich könnte ein Kind großwerden lassen mit dem Wissen um die Verluste, die es in dieser Familie gab, weil es eine jüdische Familie ist, aber ich kann auch zeigen dass eine jüdische Familie viel mehr sein kann als tote Menschen und ein Generationstrauma. Dass es auch Liebe, Vertrauen, Verbundenheit, Kerzen, Licht, Geschenke, Lieder, Feiertage, Familienrituale, Essen und Kultur bedeuten kann. Ich kann dem Kind eine Großmutter bieten, die vielleicht nicht mehr lebt, aber in Erfahrungen, Feierlichkeiten, einer tiefen Verwurzelung, dem Anzünden von Kerzen, wohlmöglich dem Sprechen der Bracha, dem Empfinden von Ruhe und dem Drehen eines Dreidels zu Chanukka Teil meines Lebens und eines gemeinsamen Familienlebens ist. Die Erinnerung an Freitagabende mit meiner Mutter machen mich glücklich. Ich mag die Idee dieses Gefühl weiter zu geben.
Ich könnte einem Kind so auf den Weg geben, dass wir (das Kind und ich) und unsere Familie mehr sind, als die morbide Faszination christlich sozialisierter Mehrheitsdeutscher. Wir sind mehr als ein Abbild des Grauens deutscher Geschichte und mehr als ein Instrument deutscher Aufarbeitungskultur.
Aber für die Fraktion Religionskritik ist das ein Graus. Sie fragt warum keine eigenen Traditionen fern ab von Religion erfinden oder wenigsten von „allen“ Religionen?
Weil es Traditionen gibt, zu denen ich eine Geschichte habe und neue eigene Traditionen nicht in einem kontextlosen Raum stattfinden – auch sie wären nicht „neutral“.
Weil ein Kind mit den eigenen jüdischen Traditionen aufwachsen zu lassen auch Widerstand innerhalb einer christlichen Gesellschaft ist.
Weil ich a) nicht weiß, was „alle“ Religionen sind und das b) eine völlig absurde Vorstellung ist. Was hab ich mit Buddhismus zu tun? Was weiß ich zum Beispiel von Bön? Welchen Bezug hätte dieses Kind zum Zoroastrismus außer am Ende dem Wissen, dass es sich beliebig aus jeder Kultur bedienen kann, weil weiße Erwachsene ihm beigebracht haben, dass es das aus seiner Position heraus kann.
Weil ich nicht will, dass meine jüdische Familie und meine jüdische Identität nichts weiter als eine traurige Geschichte für ein Zukunftskind sind.
Weil diese Teil meines Lebens und meiner Geschichte auch Vorfreude und Kuschelmomente bedeutet und ich um Weihnachten wahrscheinlich ohnehin nicht rumkomme. Und warum sollte dieses Kind nur den deutschen Mist und nicht auch tolle Geschenke und lustige Spiele und gutes Essen abbekommen? Warum sollte dieses Kind nur als Projektionsfläche herhalten ohne die Chance zu bekommen das Jüdisch-Sein mit anderen, schönen, kraftvollen, eigenen Inhalten zu füllen, die viel älter sind, als ein deutsches Schuldgefühl und linker Schiksals-Voyeurismus
Für mich macht das einfach keinen Sinn!
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Nachtrag aus aktuellem Anlass:

Ich glaube/hoffe zudem, dass das Aufwachsen mit einer vielschichtigen Auseinandersetzung mit der eigenen jüdischen Kultur/Tradition, die über den Bezug zur Deutschen Geschichte hinausgeht, sich vielleicht weniger einfach in Form einer generalisierten Opferdarstellung als Legitimation von Rassismus instrumentalisieren lässt. Oder aus einer anderen Perspektive: Nicht so anfällig für Assimilationsbestrebungen mit Hilfe von Rechtspopulismus ist.

2 Gedanken zu „Gedanken zur jüdischen Elternschaft

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