Solang wir uns um uns selber drehen

Gerade ist Facebook und Twitter voll von den Hashtags #keinekleinigkeit und #metoo. Und ich finde es wichtig sexualisierte Gewalt (ich spare mir das „und Belästigung“ weil die Differenzierung Teil des Problems ist) immer und immer wieder in den öffentlichen Raum zu tragen, bis endlich ALLE kapiert haben, dass wir ein Problem haben und/oder wir das Patriarchat stürzen.

Trotzdem lösen meine Twitter und Facebook Timelines bei mir eine lähmende Wut aus. Ich bin mit 19 von einem Bekannten vergewaltigt worden. Damals war ich Teil eines sozialen Umfelds, in dem alle über 30 (bis fast 50) waren und ich somit mit Abstand die jüngste. Nach der Vergewaltigung, durch eine Person, die zum weiteren Umfeld dieser Gruppe gehört hat, habe versucht zu thematisieren, was passiert ist, irgendwie versucht Unterstützung zu bekommen. Und alles, was ich von diesen Leuten, die doch einiges älter waren als ich, zuhören bekommen habe (bis auf eine Ausnahme, die sich erst später so richtig Scheiße zu den Vorfällen verhalten hat) war der Scheiß, den wir alle hören: „das hat der nicht so gemeint“, „das ist eigentlich ein lieber Kerl, vielleicht war er einfach betrunken“ , „das hast Du missverstanden“, „vielleicht hat er nicht gewusst, dass Du es nicht wolltest“, „dass kann ich mir bei ihm gar nicht vorstellen“ –  sie haben die Vergewaltigung bagatellisiert oder mir schlichtweg nicht geglaubt. Es waren Freund_innen, die sich als rebellisch und nonkonform in vielerlei Hinsicht verstanden haben und alle haben sie ihn gedeckt, verteidigt, mich geblamed oder ignoriert was mir passiert ist. Ich wurde plötzlich von einigen geschnitten und habe über andere erfahren, dass diese durchaus erwachsenen Menschen lieber über den 19jährigen Teenie hergezogen und sie verleumdet haben, als sie zu unterstützen.  Fast 10 Jahre später bin ich auf Facebook und Twitter unterwegs und sehe, wie die wenigen, mit denen ich über diese Kanäle in Kontakt geblieben bin nun unter den Hashtags #keinekleinigkeit und #metoo posten. Ich möchte kotzen, weil ich denke: solange wir uns ausschließlich um uns selbst drehen, können wir gegen Sexismus kämpfen. Aber Verantwortung zu übernehmen, zurück zuschauen und zu realisieren, wen wir geblamend und geshamend haben für Erfahrungen von sexualisierter Gewalt, die erlebt wurden, ist nicht Teil unserer Kämpfe. Wir können uns als Opfer sichtbar machen, aber nicht damit, worin wir versagt haben, andere zu unterstützen. Ich verstehe, dass Menschen Prozesse durchmachen, aber was mich dabei rasend macht, ist folgendes: Warum entschuldigen wir uns nicht bei jenen, bei denen  wir Teil des Systems waren, denen wir nicht geglaubt haben, deren Geschichten wir bagatellisiert haben, die wir verantwortlich gemacht haben für das Geschehene. Genauso wir unsere Geschichten teilen, sollten wir unsere Fails vor jenen Zugeben, für die wir es noch schwerer gemacht haben. Ich möchte es ihnen in die Timelines kotzen und mir wird klar: wahrscheinlich haben sie es vergessen; haben sie nie wieder darüber nachgedacht, warum ich aus bestimmten Kreisen verschwunden bin. Und wieder die Wut, denn SIE können es vergessen. SIE können erstaunt sein über meine Wut und meinen Frust. Für sie ist es lang her und für mich brennt es wie Säure, wenn ich ihren Hashtag-Feminismus sehe. Ein # ist soweit weg von verantwortlichem Handeln! Es sind bloß vier blöde kleine Striche, die erst einen Unterschied machen, wenn wir auch unsere eigene Scheiße aufräumen. Ich bin wütend, weil sie so viel älter waren als ich und ich so mutig war zu erzählen, was passiert ist. Ich bin wütend, weil sich die Scheinheiligkeit ihrer Tweets und Posts in meine Haut brennt. Ich bin wütend weil ich weiß, sie werden nicht wissen, dass sie gemeint sind und wenn doch, werden sie nicht reagieren. Ich bin wütend weil sie mein soziales Umfeld waren und die Gewalt potenziert haben, die das Arschloch mir angetan hat, indem ich als Folge einen Großteil meiner Sozialkontakte zu der Zeit verloren habe.

Ich freue mich wenn Hashtags ermöglichen sich empowered oder gesehen zu fühlen, aber ich vermisse den Part, wo wir statt nur die Situationen in denen wir Opfer waren sichtbar zu machen, auch die sehen in denen wir Täter unterstützt haben. Wo sind die Hashtags #Ididnothig #Ididnthelp #Iignoredit #imsorry #impartoftheproblem #imadethemfeelworse…

Will damit sagen: Solange Aktivismus beim kleinen Leitersymbol bleibt, kann er mir gestohlen bleiben! Könnt IHR mir gestohlen bleiben! Sichtbarkeit hin oder her. #übernehmtverantwortung

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