Ich schaue Serien. Viel und viele. Ständig. Alles mögliche. Mir wird gelegentlich sogar ein gewisses Suchtverhalten nachgesagt. But who cares…
Ich habe Freund_innen, die schauen auch Serien. Auch viel und viele. Und ich liiiebe es mich mit ihnen auszutauschen, wen wir gerade anhimmeln, was wir schauen, was wir als nächsten schauen, wer cool ist und wer scheiße, was wir vermuten, wer es war und welche Wendung wir total fragwürdig finden.
In letzter Zeit habe ich angefangen mit Freund_innen darüber zu reden, was Serien mit uns machen. Warum, wie und was wir schauen.
Ich zum Beispiel verschlinge so ziemlich alles und unterscheide dabei aber zwischen Serien, die mich wirklich fesseln und empowern und mitreißen und Serien, die ich des Schauens halber gucke.
Serien schauen ist für mich persönlich dabei eine wirklich sehr erfolgreiche Umgangsstrategie, um mit Flashbacks und Erinnerungsfetzen umzugehen. Aber dazu komme ich noch.
Für eine meiner Freund_innen, sind Serien wichtiger Input um sich verschiedene Umgangs- und Lösungsstrategien anzuschauen. Verschiedene Charaktere in verschiedenen Serien gehen unterschiedlich mit Lebensentscheidungen und Krisensituationen um. Ich stelle es mir als eine Art Galerie der Entscheidungs- und Umgangsmöglichkeiten vor.
Serien-Schauen als Strategie um die eigenen Verhaltensmuster anzuschauen und zu überlegen, was noch möglich wäre…
Eine andere Freundin nutzt Serien als Katalysator für Emotionen und Gefühle, die in ihrem Alltag keinen Raum haben. Wer sagt, dass Emotinalität immer an eine Person gerichtet sein muss? Wie cool ist es einen Weg zu finden Gefühle, die ich im Alltag nicht ausleben kann oder will so zu zelebrieren. In Serien finden Interaktionen statt, an denen ich emotional teilnehmen kann, ohne dass ich Teil der Interaktion sein oder sich sich meine Realität ändern muss.
Wieder eine andere Freundin schaut Serien um bestätigt zu bekommen, dass eine andere Lebensraelität zu haben, als die eigene, nicht automatisch bedeutet, dass das Leben schöner wäre. Obwohl die alle „den coolsten Scheiß haben, kommen die trotzdem nicht klar“. Serien als Beweis, dass es nicht lohnt jemand anderes sein, bzw. der Norm näher sein zu wollen, sondern das eigene Leben ganz schön cool und nur die Umstände manchmal zum Kotzen sind.
Für mich war das (exzessive) Schauen von Serien eine grandiose Entdeckung. Denn meine Arbeit in jahrelangen Therapien hat zwar geholfen mit Sachen an sich klar zukommen, aber sie hat nichts daran geändert, dass mich manchmal Bilder meiner Vergangenheit plötzlich einholen und für den Moment komplett umhauen. Seit ich Serien gucke, habe ich einen Weg gefunden mehr Abstand zu diesen Situationsblitzen zu bekommen. Und je mehr ich schauen, desto einfacher wird’s. Ich kann sie mit anderen Bildern, die ich in Serien gesehen habe abgleichen. Kann mir, wenn ich das will, das Gefühl geben, dass das auch nur Szenen aus einer Serie sind und kann sie so von mir und den Dingen die ich mag fernhalten. Ich kann mir vorstellen, das ich es mit einem Mausklick auf meinem Laptop ausstellen kann und dass es für mich nicht mehr bedeutet, als all die Szenen und Bildern, die ich auf dem Bildschirm gesehen habe. Damit hauen mich bestimmte Szenen aus meiner Vergangenheit nicht mehr einfach um, sondern sie fangen irgendwie an zu flimmern und werden zu einer Szenerie von vielen anderen.
Zudem können Serien für mich noch etwas anderes: Manchmal habe ich das Gefühl, dass mich das, was ich erlebt habe in Augen anderer zum „Problem-“ oder „Sozialfall“, zum „Mängelexemplar“, zur „gebrochenen“ Persönlichkeit macht. Ich fühle mich dann beschädigt, wertloser, schäme mich, habe das Gefühl, beweisen zu müssen, dass ich keine von den Personen bin, von denen meine Großmutter gesagt hätte, dass man sich von ihnen besser fernhält. Und auch, wenn ich weiß, dass all diese Beschreibungen Bullshit und klassistische Kackscheiße sind, habe ich manchmal Angst, dass andere das nicht wissen, bzw. vergesse ich es, in Bezug auf mich selbst, manchmal selber.
In Serien passieren den Charakteren ständig irgendwelche krassen Sachen und sie sind danach nicht weniger glamourös. Sie sind immer noch die beliebten, begehrenswerten, tollen Held_innen und das obwohl ihnen Staffelweise das schicksalfafteste/dramatischte/schlimmste Zeug zustößt. Ich weiß, dass das nur für bestimmte, nämlich in der Regel für weiße, normschöne, schlanke reiche Charaktere stimmt, aber es hilft mir zu glauben, dass mein Leben einfach der Dramatik einer Serie entspricht und nicht total „verkorkst“ ist.
Mir ist klar, dass all meine inneren Prozesse, Gedanken und Ängste zu meiner Biographie, die ich hier beschreibe, nur soziale Normen bestätigen und solche Gedanken zu haben schon an sich Teil des Problems ist, weil das selbstverständlich gängige Diskurse bedient und dabei eigentlich nur kontruierter Müll ist. Aber nichts desto trotz muss ich ja irgendwie einen Umgang damit finden. Meine Umgangsstrategie ist es, den normativen Müll in meinem Kopf solange mit normativen Stream-Wellen zu bestrahlen, bis er einfach explodiert.
Ich finde es spannend, dass die Leute, mit denen ich mich darüber unterhalten habe, alle ungefähr ein ähnlichen Serien-Schau-Verhalten haben, aber es mit allen irgendwie was anderes macht. Ich finde es toll festzustellen, dass etwas, das vermeintlich unproduktiv, unsozial und unispiriert ist, wie Serien zu schauen, genau das sein kann, nämlich einfach mal in Ruhe unproduktiv, unsozial und unispirtiert sein zu können, aber zum anderen eben auch ein super tolles und vielseitiges Tool ist, um mit Sachen, Gefühlen oder schlicht und ergreifend dieser Welt umzugehen.
Bis dahin… Muss jetzt Serien schauen…
Ein Gedanke zu „Die Lösung für alles Mögliche: Serien schauen!“