Körper verändern sich. Über die Zeit, durch äußere und innere Einflüsse, mal mehr mal weniger. Manchmal fällt es uns selbst auf, manchmal anderen, manchmal niemandem. Ich sehe meinen Körper zur Zeit im Spiegel und kann dabei zusehen, wie er ganz langsam von (m)einem Krankenhauskörper wieder zu MEINEM Körper wird. Es rührt mich zu Tränen. Mal aus Trauer, mal aus Schmerz, mal aus Wut, aus Hilflosigkeit.
Was macht (m)einen Körper zum Krankenhauskörper? Es ist mehr als die Schmerzen und die Schwäche, das gelähmte Bein, die Taubheit, der große Schnitt an der Wirbelsäule entlang, das kaum laufen können, die blauen Flecken von den Spritzen, die kleinen Narben von den Infusionen und Zugängen. Es ist mehr als das benebelt sein von den Schmerzmitteln, das vieles nicht selbst erledigen können, der Frust und die Ungewissheit, ob die Nerven irgendwann wieder funktionieren werden. Seit ich nach den zwei Wochen Krankenhaus wieder Zuhause bin, weiß ich, was der Unterschied zwischen MEINEM Körper, so verletzlich (oder verletzt) und hilflos er mich auch gerade macht, und (m)einem Krankenhauskörper ist. (M)ein Krankenhauskörper ist gezeichnet von Hilflosigkeit, Angst, Erniedrigung, dem Geruch von Desinfektionsmitteln und steifen Laken, der in jeder Pore eindringt und nicht wegzuwaschen ist.
(M)ein Krankenhauskörper ist schwach und eingeschränkt auf eine Art und Weise, die nichts mit körperlicher Schwäche und physischer Einschränkung zu tun hat. Meine Proportionen haben sich verändert. Mein Körper wirkt fremd, jedes Mal, wenn er in dieser Umgebung angefasst wird. Ich kann nicht alleine auf die Toilette gehen, Pfleger fassen meinen nackten Körper an, ich habe keine Kraft zu sagen, ich möchte nicht, dass mir ein Mann hilft. Einer sieht meine Tattoos auf meinem nackten Körper, er fängt an zu starren, sagt „shalom“ auf eine Art und Weise die meine zittrigen Hände noch kälter werden lassen. Er hat keine Hemmungen über meine Tattoos in Hebräischer Schrift zu reden, als hätte er sie in der Zeitung und nicht auf meinem nackten Körper gesehen. Ich kann nicht sagen ob es Antisemitismus oder ‚Philosemitismus‘ ist, aber er starrt und macht meinen Körper zum Krankenhauskörper. Er grüßt mich jetzt immer mit „Shalom“ und duzt mich nur noch. Er macht MICH zu einem Krankenhauskörper.
Ein Pfleger holt mein Bett ab, (m)ein Krankenhauskörper liegt drin, als wäre es ein Versehen. Das Herz muss nach der OP überprüft werden. Ich weiß nicht wo es hingeht. Ich sehe nur wie sich die Farbe der Scheuerleisten ändern, bis es keine mehr gibt. Wir fahren eine gefühlte Ewigkeit durch Keller mit Rohren und nackten Wänden, wo niemand außer uns ist und ich werde zum Krankenhauskörper. Ich muss vertrauen, dass der Weg durch die Keller der richtige ist, wenn nicht, könnte ich nichts daran ändern. Ich könnte nicht mal schreien, die Schmerzen liegen schwer auf der Brust und das, was da durch die Keller geschoben wird, hat nicht mehr viel mit mir zu tun, es ist (m)ein Krankenhauskörper.
Ich kann das Bett lange nicht verlassen. Aus Schmerzen, wegen der Lähmung, wegen der Schmerzmittel, die dafür sorgen, dass ich eigentlich kaum da bin. Aus meinem Körper kommen Schläuche. Sie sollen Medikamente in mich rein und Blut und Wundflüssigkeit aus mir heraus befördern. Sie machen meinen Körper auch zu einem Krankenhauskörper. Ich ekel mich vor ihnen, ich will sie nicht, ich habe keine Wahl.
Mir wurde erklärt, in welcher Position sie mich operieren. Es hilft zu glauben, es war nicht mein Körper, der komplett nackt dort auf dem Bauch lag, Arme und Beine weit gespreizt und fixiert, während der Chirurg meinen Rücken aufschneidet. Es war ein Krankenhauskörper. Irgendeiner. Ich muss vorab unterschreiben, dass ich das Krankenhaus nicht für Lagerschäden verantwortlich mache. Lagerschäden, an (m)einem Krankenhauskörper während der OP. Bilder Blitzen bei bei dem Begriff auf. Heute lassen sie uns unterschreiben, um die Verantwortung für Lager-Schäden nicht übernehmen zu müssen. Zynismus hilft mir im Umgang mit dem Krankenhauskörper.
Ich erlebe, wie eine Schwester erst sehr nett und nachdem sie meine Freund_innen gesehen hat, sehr eklig zu mir ist. Ich bin von ihr abhängig und sie lässt mich die Homo- und Transfeindlichkeit, die sie meinen Freund_innen entgegenbringt auch spüren, wenn diese nicht da sind. Ich ziehe mich in (m)einen Krankenhauskörper zurück.
Es ist eine andere Hilflosigkeit, als die, die mein Körper gerade verursacht, die den Unterschied zwischen MEINEM Körper und (m)einem Krankenhauskörper ausmacht. Es erniedrigt mich nicht, Hilfe zu benötigen.
Aber die Art und Weise, wie mein Körper zwei Wochen lang angefasst, angeschaut, abgestellt, besprochen, ignoriert, entmenschlicht, und fetischisiert wurde, hat meinen Körper verändert, hat mich und ihn erniedrigt, bedroht, uns entfremdet. Es hat sich in ihn eingeschrieben. Und ich spüre und sehe zwar, wie aus diesem Krankenhauskörper, mit dem ich entlassen wurde, jeden Tag ein Bisschen mehr wieder MEIN Körper wird, aber ich beginne zu zweifeln, dass es der gleiche Körper sein wird.
Es ist nicht klar, ob mein Bein wieder ganz funktionsfähig sein wird, wie geschmeidig ich mich in Zukunft mit der operierten Wirbelsäule bewegen kann. Es macht mir Angst zu sehen und zu spüren, wie sehr die Operation auf der einen und das Krankenhaus auf der anderen Seite (m)einen Körper verändert haben. Und manchmal erkenne ich ihn kaum wieder, obwohl die Proportionen fast wieder so sind wie vorher, obwohl trotz des langen Schnitts kaum eine OP-Narbe zu sehen sein wird, obwohl der Eingriff alles besser machen sollte – Alles ist fremd. Auf physischer Ebene und auf emotionaler, weil ich ein Krankenhauskörper war.